Der 1912 in Los Angeles geborene Cage, wäre nicht ausreichend beschrieben, wenn man nur von ihm sagen wollte, daß seine Musik zu den wichtigesten künstlerischen Schöpfungen des 20. Jahrhunderts gehört. Cage hat durch sein Denken und seine Arbeit unsere Vorstellungen von allem Klanglichem verändert: vom Geräusch über Klaviersonaten bis hin zu Straßenlärm und elektornischen Klängen. Selbst dasjenige akustische Ereignis, das weder als Musik noch als Geräusch bezeichnet werden kann, ist nach Cage nicht mehr was es vor ihm war: gemeint ist die Pause, die Stille, das Schweigen. In seiner Arbeit "4 Minuten 33 Sekunden" aus dem Jahr 1952 konfrontierte John Cage ein fassungsloses Publikum mit einem Musikstück, das aus einer viereinhalb minütigen Gerneralpause bestand. Vom Konzertsaal in den Äther schwenkte Cage mit Stücken für Radioapparat, Plattenspieler oder für Tongeneratoren. Cage hat damit unseren Begriff von medialer Kommunikation mit einer Schärfe attackierte, die ihresgleichen suchen muß.
Stille, Rauschen, Signale bilden 3 begriffliche Eckpfeiler der Arbeit von Cage. Stille, das war für Cage kein Defizit, kein Fehlen von Klang, kein Musikmanko, sondern eine eigene Wahrnehmungsqualität, der er intensiv nachspürte. Pause im Sinne von Cage um Zuhörer aufmerksam zu machen für alle Klänge außerhalb des Radiogerätes. Die Pause ist der größte Feind des stets geschwätzigen Radios. So sehr fürchtet das Radio die Pause, daß es ein Pausenzeichen geben muß - also einen Klang der die Pause zur Nicht-Pause macht. Für Cage aber war die Stille ein Schlüssel des Verständnisses alles musikalischen. In einem BBC-Interviwe vom Dezember 1966 sprach Cage über das Verhältnis von Stille und Intentionalität:"Ich nehme Abstand von allen Aktionen die Dinge herausheben, die im Laufe eines Prozesses geschehen. Was mich viel stärker interessiert, weit mehr als alles was geschieht, ist, wie es wäre wenn nichts geschehe. Gegenwärtig ist mir sehr wichtig, daß die Dinge die geschehen, nicht den Geist auslöschen der schon vor ihnen - ohne daß irgendetwas geschehen wäre - da war. Und wenn ich heute sage 'ohne daß iregendetwas geschehen wäre', so meine ich die Stille, d.h. einen Zustand frei von Intentionen. Wir haben immer Töne um uns und wir haben überhaupt keine Stille auf der Welt. Wir leben in einer Welt der Töne. Von Stille reden wir dann, wenn wir keine unmittelbare Verbindung mit den Absichten finden, von welchen die Töne produziert werden. Und wir reden von einer stillen Welt, wenn wir aufgrund unserer Absichtslosigkeit glauben, es gebe nicht viele Töne. Wenn wir dagegen den Eindruck haben, daß es viele Töne um uns herum gibt, dann reden wir von Lärm. Doch zwischen einer stillen Stille und einer Stille voll von Geräuschen gibt es keinen wirklichen Unterschied. Was Stille und Lärm gemeinsam haben, das ist der Zustand der Absichtslosigkeit. Und dieser Zustand ist es, der mich interessiert.
Cages Interesse für alles Klingende lenkte sein Ohr in den 30er Jahren zuerst auf Plattenspieler - z.B. in seiner Arbeit "Imaginary Soundscape Number 1" aus dem Jahr 1939 - dann auf Hörfrequenzoszilatoren - z.B. im "Imaginary Landscape Number 3". 1951 entstand schließlich "Imaginary Landscape Number 4" für 12 Radioapparate, deren Empfangsfrequenzen auf der Bühne von Akteuren zufällig eingestellt wurden. 1958 folgte das Stück "Fontana Mix", ein Stück für Tonband, das im Studio Di Fonologia des italienischen Rundfunkes in Mailand entstand.
Nicht nur die Remix-Idee wie in "Fontana Mix", auf deren Wogen heute eine ganze Generation junger Musiker dahinschwimmt, bereitete Cage in den 40er Jahren vor und auf. Er formulierte damals ein Konzept, ohne das die zeitgenössische Musik undenkbar wäre: Sampling - Aufnahme und Wiedergabe konkreter Klänge in Echtzeit. Schon 1942 beschrieb Cages seinen technologischen Traumkasten folgendermaßen:
"Viele Musiker, der Autor eingeschlossen, träumen von kompakten technologischen Kästen, in deren Innerem alle hörbaren Klänge einschließlich der Geräusche bereitstehen, um auf einen Befehl des Komponisten hin herauszukommen. Solche Kästen sind noch immer iregendwo in der Zukunft angesiedelt. Gegenwärtig hat man nur die Wahl entweder zu warten und über die Tatsache zu lamentieren, daß sie für experimentelle und musikalische Zwecke heutzutage nicht verfügbar sind, oder weiterhin mit dem zu arbeiten, was an Äxten und Eimern gefunden oder hergestellt werden kann. Kürzlich hatte die Chicagoer Schlagzeuggruppe Zugang zum Archiv für Klangeffekte einer Radiostation in Chicago. Zusammen mit elektrischen Summern, gedämpften Gongs, Blechdosenxylophonen, Marimbula, einer Drahtspirale und aufgenommenen Klängen wurde ein Hörfrequenzoszilator verwendet. Die Drahtspirale war durch einen Phonotonabnehmerarm mit Verstärker und Lautsprecher verbunden. Diese Anordnung hatte ein Experte für Klangeffekte ausgetüfftelt, um verschiedene Explosions- und Rumpelgeräusche aus Natur und Krieg darzustellen. Lautstärke und Auftreten der hohen oder tiefen Obertöne wurden anhand einer Skala gesteuert. Mittels eines Schiebereglers konnte man von der größten Lautstärke zu völliger Stille übergehen und wieder zurück. Frequenzaufnahmen und Aufnahmen vom Gejaule eines Generators wurden auf Plattentellern verwendet, deren Umlaufgeschwindigkeit sich variieren ließ, sodaß man gleitende Töne erhielt. Um den Klang zu erzeugen setzte man eine Nadel auf die Platte, obwohl daraus zuweilen ein unscharfer Einsatz resultierte. Dem war eine Anordnung von Knöpfen vorzuziehen, durch die es möglich war die Nadel vor dem gewünschten Einsatz auf der Platte zu haben, wobei je nach Stellung der Knöpfe Klang oder Stille erzeugt wurde. Auch hier konnte man wiederum die Lautstärke des Klanges sehr genau steuern. Ein Spieler kann mehrere Plattenteller bedienen und eine einzelne Stimme aufführen, die für Erdrutsch, Regen, Preßluft oder für irgendwelche anderen konkreten Klänge geschrieben ist. Ein kleines Kontaktmikrophon, wie es für die Marimbula benutzt worden war, wandelt sanfte Klänge in solche von aufdringlicher Qualität oder Charakter um. Diese Instrumente sind keinesfalls die letztlich erträumten, aber sie sind verfügbar und nützlich und stellen zumindest einen Schritt ins bislang ungehörte oder unvorstellbare dar. Es ist möglich aber mit Schwierigkeiten verbunden sie vom Rundfunkstudio in den Konzertsaal zu verpflanzen. Lautsprecher, Verstärker und Plattenteller sind ins Zentrum einer phantastischen Anhäufung von Drähten und elektrischen Leitungen zu rücken. Werden diese Materalien für musikalische Zwecke benutzt, ist es einfacher und natürlicher solches in den Rundfunkstudios zu tun, wo das Material entwickelt wurde. Man kann Verbindungen von Klangeffekten herstellen, sofern man ihre eher expressiven als bildhaften Qualitäten im Auge behält. Derartige Kompostitionen können ihrerseits als experimentelle Radiomusik aufgeführt werden." (John Cage 1942) |
Ein Beispiel solcher experimenteller Radiomusik wurde unter der Anleitung von John Cage 1987 beim Westdeutschen Rundfunk produziert und zwar die Arbeit "Roaratorio". Wie bei vielen Titeln des James Joyce Bewunderers Cage handelt es sich auch bei diesem Titel um ein Kunstwort Joyceschen Zuschnittes: Oratorium und Gebrüll - roaring oratorium oder Roaratorio. Cage war ein Musiker der Einflüßen aus allen Bereichen der Kunst stets offen gegenüber stand. Ideen bildender Künstler beeinflußten sein musikalisches Denken ebenso wie die Werke der Literatur seiner Zeit wie etwa Finnigan's Wake von James Joyce in die Arbeit "Roaratorio" einfloß. Umgekehrt wirkte aber auch Cage katalysatorisch auf bildende Künstler und Dichter. Ernst Jandl übersetzte "Silence" ins Deutsche. Es handelte sich dabei um den Vortrag über Nichts, den Vortrag über Etwas und 45 Minuten für einen Sprecher. |