SONNTAG, 5. August 2007, 23:05. - 23:45, Ö1

KUNSTRADIO - RADIOKUNST


Anlässlich der runden Geburtstage von Österreich1, das seit 1967 besteht, und von Kunstradio, 1987 gegründet, werden im August 2007 vorzügliche Arbeiten aus dem Kunstradio-Archiv wiederholt.

Jeder Sendung vorangestellt ist eine Folge der Radio-und-Internet-Sitcom "Familie Auer", die 1996 gesendet wurde und heute noch im Internet fortlebt. Wechselnde Teams von KomponistInnen, LiteratInnen, MusikerInnen und KünstlerInnen haben über 50 "Familie Auer"-Folgen gestaltet, die – ob bissig, dramatisch, anstandswidrig, charmant oder amüsant – allemal den Kriterien einer guten Sitcom entsprechen.

Die Autoren und Autorinnen jener Produktionen aus zwei Jahrzehnten, die nun wieder gesendet werden, haben jeweils mehrere Stücke für Kunstradio realisiert – sie als Weggefährten zu bezeichnen ist daher nicht vermessen. In ihrer Unterschiedlichkeit reflektieren die ausgewählten Hörstücke die Herangehensweisen der UrheberInnen ebenso wie die große Bandbreite der Radiokunst. Möglichkeiten und Eigenheiten des Mediums Radio werden aufgezeigt, unterschiedliche Produktionsprozesse vorgestellt und das Verhältnis der Radiokunst zu verwandten Genres (wie experimentelle Musik, bildende und darstellende Kunst, Hörspiel und Medienkunst) thematisiert – all dies im Spiegel der Gegenwart und in Hinblick auf das, was vor uns liegt.

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Interview mit Marlene Streeurwitz vom 9. Juli 2007:

Haben Sie sich die Stücke, die Sie für Kunstradio gemacht haben, in letzter Zeit angehört? Denn es liegt ja doch einige Zeit dazwischen und auch ein größerer Erfahrungsschatz im Produzieren von Hörstücken.

„Kaiserklamm.Und.Kirchenwirt“ ist  etwas, was ich doch hin und wieder heraus hole und mir mit einiger Befriedigung anhöre, ja. Das hat den Zauber des Erstlingswerks. Das Erste das gelingt, das ja dann meist als Erstlingswerk auftritt, hat oft eine solche Brillanz und Schärfe, die nachher erst wieder nach zehn weiteren Arbeiten erreicht werden kann. Und hier ist das gelungen, weil das Nichtwissen über die Technik dazu geführt hat, die Technik weit zu überfordern und damit etwas zu erreichen – für mich jedenfalls –, was ich durch langes Studieren, wie das so geht mit Schauspielern und Schauspielerinnen, nicht so ohne weiteres fertig gebracht hätte.

Was war bei "Kaiserklamm.Und.Kirchenwirt" – dem ersten Stück, bei dem sie die Regie übernahmen – Ihre Anforderung, mit welcher Erwartung gingen Sie damals ans Werk?

Ich hatte eine ganz genaue Vorstellung, wie ich mich von dem Programmhörspiel absetzen möchte. Mit dem Programmhörspiel hatte ich zwar kurz zuvor großen Erfolg, aber schon auch sehr grässliche Augenblicke, wenn Regisseure nicht an den Text herangegangen sind, sondern einfach umgesetzt haben. Also das, was ich im Theater nie getroffen habe, habe ich im Radio immer getroffen: nämlich brave Regisseure, die sich an den Text halten. Und das, obwohl ausgemacht war, dass Störungen von dieser Seite kommen, um den Text audiophon in eine Spannung zu versetz. Ich habe daher begonnen eigene Regieanweisungen zu schreiben – die dann später in den Theaterstücken wieder zu diesen Problemen mit den Regisseuren geführt haben. Aber ich habe daraus gelernt, dass nur was gesagt worden ist, gesagt ist. Und zwar am besten von mir selber.

Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Bert Breit gestaltet?

Bert Breit hat sich an meine Seite gesetzt, er hat mich einfach machen lassen und hat mir nur ein einziges Mal gesagt, ich soll mir eine Pause überlegen. Und damit war das Hörspielmachen gelernt. Eine solche Lehre ist jedem zu wünschen, weil nichts besser ist als jemand, der sagt, „ja mach nur, das ist schon okay“.

Was war denn ihr Bezug zum Ort der Handlung, der Tiroler Kaiserklamm?

Ich habe da zehn Jahre ein Haus mit meinen Kindern im Sommer bewohnt und habe die Gegend sehr genau gekannt: wie sie sich in den Fremdenverkehr einordnet, was Fremdenverkehr ist. Das weiß ich seit meiner Kindheit, weil ich in einer Fremdenverkehrsgemeinde aufgewachsen bin. Wie nah das an Besatzung und Krieg auch immer gleich dran ist, und ich glaube, „Kaiserklamm.Und.Kirchenwirt“ ist ein Stück über den Krieg geworden. Wie die Männer in den Krieg ziehen, einander vorlügen, dass es gleich aus sein wird, „nur noch drei Minuten“, und das zwanzig Mal. Wie die Frauen am Rand stehen und sagen, der Mann soll nicht gehen und er geht trotzdem – wie uns das der Kanon der klassischen Literatur auch beibringt. Wenn ich jetzt an den Irakkrieg denke, dann ist das genau so: „nur noch drei Minuten, nur noch drei Minuten“ – wie oft haben wir das gehört. Alle mussten weiterkämpfen, und die drei Minuten sind noch lange nicht zu Ende. Das Stück entstand in einer Zeit, als wir Krieg noch nicht kannten. 1989 war unsere Welt ja noch eine friedliche – wenn auch die Welt an sich nicht, aber unsere war sehr friedlich – was sich dann ganz rasch geändert hat.

Gegen Ende des Stückes findet ja dann der nahtlose Übergang in die Glorifizierung des gescheiterten Helden Karli statt.

Karli ist ein Vorläufer aller Gladiatoren, die wir ja heute auch kennen: aus dem Sport, aus der Politik und aus Videospielen, aus Votingshows, als Superstars. Bei Karli ist nicht ganz klar, ob er sich ins Wasser fallen lässt, oder ob er von der Fliege ins Wasser gestoßen wird. Danach schließt sich alles um ihn, und es ist, als wäre er nie da gewesen. Nur seine Figur wird überhöht. Das wiederum kennen wir aus der Religion sehr gut.

Sehen Sie in dem Stück noch andere Bezüge zum aktuellen Tagesgeschehen? In einer Glosse in den Salzburger Nachrichten haben Sie sich unlängst zu Salzburgs erfolgloser Olympia-Bewerbung geäußert.

In „Kaiserklamm.Und.Kirchenwirt“ sitzen der Bürgermeister und Baumeister als Schiedsrichter da und wollen, dass dieser Mann ihnen den Weltrekord liefert. Es geht ja um den Weltrekord im Klammüberqueren auf dem Hochseil. Was mir damals als Absurdität vorgekommen ist, all das ist mittlerweile von der Wirklichkeit überholt. Das ist dann das, was der Bürgermeister, die Landeshauptfrau oder der Bundeskanzler [im Falle von Salzburgs Olympia-Kampagne] genauso tun, nämlich die Burschen – hauptsächlich Burschen, und ein paar geschickte Mädchen – hinaus zu schicken, um ihnen die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Dafür treten sie eine Geschäftemacherei los, deren Ursache in der Kaiserklamm-Geschichte ebenso wie in Salzburg der Fremdenverkehr ist. Dass es um Krieg geht, bezeugendie Schlagzeilen, wenn sie von „Olympia-Klau“ und „Krieg um Olympia“ sprechen. Dann ist ganz klar, dass die Dimensionen der Aggression, die wir im nationalen Krieg kennen, auf den Markt übertragen werden.

Was kennzeichnet Ihre Arbeitsweise an Hörstücken?

Die Arbeitsweise ist, dass ich nur mit Material ins Studio gehe, das ich mit Schauspielerinnen und Schauspielern aufnehme und nur aus der Umsetzung, also nur aus dem Hören, das Material auswähle, sodass sich das Hörspiel erst im Studio entscheidet. Es sind nicht Fundstücke, aber es ist Fundstücken verwandt: es werden Dinge zugeliefert, die das dann weiter entscheiden. Auch die Frage, welche Musik gespielt wird – all das wird erst in der Produktion entschieden, sodass es eine Improvisation bleibt. Entschieden wird nur aus dem Hören, statt das Stück am Reißbrett zu entwerfen.


Ist die Entscheidung für diesen offenen Arbeitsprozess eine Frage der Sinnlichkeit?

Dieses Vorausentwerfen und dann alle in die Form pressen – das entspricht genau dem Geist des 19. Jahrhunderts. Das erinnert mich an das Exerzieren und an Militarismen, dass die Dinge so sind wie eine Person es sich vorstellt. Dabei kann ich mit einem Schauspieler oder einer Schauspielerin auch ganz anders zusammen arbeiten und auf deren Professionalität zurückgreifen. Wenn zum Beispiel eine Schauspielerin sagt, sie würde die Textstelle gerne singen und es ist wunderbar, dann kann ich es verwenden. Das wirft natürlich das ganze Hörspiel in eine andere Richtung.
Dann muss ich das verspengeln. Das hat also viel mit Vernähen und Collagieren zu tun – und es ist sehr anstrengend. Das ist Schreiben im Studio, aber eben mit dem Medium, und nicht vorher beschlossen. Wenn die Produktion nur die Vorstellung einer Person spiegelt, halte ich das auch für sehr undemokratisch, also wenn anderen abverlangt wird, sich in das im Voraus entworfene Bett hineinpressen zu müssen.
Diese Art der Arbeitsweise hat auch eine andere Lust. Es ist spannender, ein geradezu gefährlicher Akt immer wieder die nächste Auswahl zu treffen, der nächste Schnitt, die nächste Geräuschlösung. Das heißt, es ist rein medial, im Medium gemacht. Das halte ich für eine der Voraussetzungen – so wie beim Schreiben eben nur die Sprache da ist.


Was bedeutet der Verzicht auf den dialogischen Prozess für die Dramaturgie?

Hörspiel hat sehr viel Ähnlichkeit mit dem, wie Film gemacht wird. Der Unterhaltungsfilm besonders – aber auch die großen Filme – leiden darunter, dass nie Zeit für Proben ist. Das sich das Medium reduziert hat offenbart darin, dass wir heute den Experimentalfilm nicht sehen können, dass sich andere Formen als Schuss-Gegenschuss oder die Kopfaufnahmen nicht etabliert haben. Dass andere Formen nur in der kleinen Programmschiene Platz haben, hat viel damit zu tun, dass die technischen Möglichkeiten durch Geld und Zeitmangel reduziert sind. Schuss-Gegenschuss muss auch verbergen, wie schlecht gespielt wird, weil keine Zeit zum Proben ist, weil keine Spannung aufgebaut werden kann, weil das alles die Kamera ohnehin erledigt. Und so hat sich der Film stark reduziert von der Produktionstechnik her.
Das Hörspiel ist auch längst an diesem Punkt angelangt, dass steife Dialogaustauschereien stattfinden, weil keine Zeit zum Proben ist, bzw. weil das Begehren vieler Regisseure ist, eine Art von reduziertem Theater aufzuführen. Und das halte ich fast für ein Verbrechen, weil das Medium selbst ja ganz andere Möglichkeiten bietet.
Ich löse das mit der Zusammenarbeit mit dem Schauspieler und der Schauspielerin in ihrer Rolle. Es wird in ihrer Rolle gearbeitet, und die Zusammenhänge stelle ich dann mit Hilfe der Technik her.


Also auch eine Frage der Zeit?

Selbst wenn ich drei Wochen Zeit für eine 5.1-Hörspiel-Produktion habe, ist das zuwenig Zeit um drei Leute an einen Tisch zu setzen und eine schauspielerische Einheit herzustellen. Das ist eben Theaterarbeit, die sechs Wochen dauert, oder noch länger. Eine weitere Erfahrung aus dem Theater: bei der Leseprobe, besonders wenn die Personen das Stück noch nicht gelesen haben und den Text das erste Mal sehen, gibt es eine klare und vollkommen entleerte Leseform, die den Inhalt am besten transportiert. Die Figuren sind auf ihre Sprache reduziert, aber damit auch ganz durchscheinend und, so wie Spitzen, fein ziseliert. Das ist was ich hier verwende.
Ich kann mir auch vorstellen, dass man sechs Wochen arbeitet, dann führen wir längere Sequenzen auf und haben die Bindung, die eine Schauspielerarbeit mit sich bringt. Ich bin aber gar nicht sicher, ob man das wirklich machen könnte.
Ein bisschen ist das wie das richtige Leben, wo wir unsere Gespräche ja auch nicht üben, sondern als Person auftreten und aus dem heraus eine Kommunikation angehen. Und manchmal denke ich mir, dass es auch ein bissel ein Brimborium ist, dass diese Spannung sein muss. Wir haben sie oder haben sie nicht – das ist dann Antipathie oder Sympathie. Aber das richtige Leben funktioniert ja auch nicht wie eine Kohäsion, die dann in Stücken oder Filmen abverlangt wird.
Damit bleibt auch der Text bei diesen versprachlichten Figuren, die ja im Radio reine Sprache sind. Das allerschönste ist diese reine Sprache in einer Stimme gesprochen. Und dann habe ich das ästhetischste Material, mit dem ich weiterarbeiten kann.


Die Stimme setzen Sie als Geräuschebene ein.

Ja, die Stimme ist ja selbst schon eine Erzählung. Eine Stimme einer Person hat alle Eigenschaften und erzählt ganz viel von einer Person, ob sie in sich ruht, wie sie atmet. Das FBI etwa verwendet Aufzeichnungen der Stimmen um herauszufinden, ob jemand lügt, ob es dringlich ist oder nicht. Bei den Alarmpunkten an manchen Stellen in Amerika läuft der Anruf über eine Stimmauswertung, sodass man über die Stimme vermitteln muss, dass es dringlich ist, und dann wird man weitergeleitet. Da wird das wiederum ausgebeutet, was die Stimme verrät.


Inwiefern hat sich ihre Arbeitsweise durch Computertechniken verändert, seit Kaiserklamm.Und.Kirchenwirt"?

Ich profitiere von den Computertechniken in bezug auf Schnitt und Datei. Natürlich weiß ich heute etwas besser, in welche Richtung es gehen könnte. Ich muss nicht alles ausprobieren lassen. Das war damals notwendig, aber das kann ich heute ganz gut und kann sagen: gehen wir mehr auf die Frage der Länge ein, dehnen, schrumpfen, lassen den Text sehr schnell lesen, ganz langsam, tonlos, völlig exaltiert – also ich muss heute nur mehr 4-5 Formen aufnehmen, und damals waren es sicher 8-10 Sprechhaltungen, die da versucht wurden.

So ist dann wahrscheinlich auch die hohe Stundenanzahl zustande gekommen, die Sie an „Kaiserklamm.Und.Kirchenwirt“ gearbeitet haben.

Ganz sicher, aber auch durch dieses von Bert Breit nie angesprochene "Wir müssen jetzt zu einem Ende kommen". Außerdem war die Terminkoordination nicht ganz einfach, da zeitgleich der "Woyzeck" aufgeführt wurde und die Schauspieler dafür proben mussten. Also, insgesamt haben wir 100 Stunden an „Kaiserklamm.Und.Kirchenwirt“ gearbeitet – das ist schon sehr viel.

Und außerhalb der Studiozeit sind Sie in die Klamm gegangen und haben dort Geräusche aufgenommen.

Richtig. Und Interviews haben wir in der Klamm gemacht. Was mir damals wichtig war, war diese inszenierte Wirklichkeit und die aufgefundene Wirklichkeit gegeneinander zu stellen, auch viele verschiedene Deutsch-Arten einzusetzen.


Wie kam es, dass Sie die Rolle der Selbstmörderin übernommen haben?

Da hat etwas mit der vorgesehenen Schauspielerin nicht funktioniert. Dann musste ich das selber machen. Das war damals aus dieser überschießenden Lust an der Sache ganz richtig. Diese Tonlosigkeit, also diese völlige Entleerung der Sprache, die kann ich schon ganz gut. Und wenn ein Komponist da sitzt und den Ton angibt, dann geht das auch – aber heute würde ich das nicht mehr tun.

Ihr Hörstück "Yocasta, you'd better leave" ist gänzlich aus Klangmaterial hergestellt worden, das Sie im Studio RP4 vorgefunden haben. Inwiefern haben Sie da die Eigenheiten des Mediums ausgenutzt?

Wenn man dem Medium Hörspiel ein Eigenleben zugesteht, dann kann man Hinweise darauf liefern, wie die Wirklichkeit aussehen sollte. Man kann selbst Leben retten darin – im Hörspiel ist das ganz einfach möglich. In "Yocasta" etwa befreie ich die Hauptfigur, indem ich sie in den Jaguar XJ6 von der Geräusch-CD setze und diesen wegfahren lasse, übrigens ein besonders schönes sattes Geräusch. Das sind die Entwürfe von Rettung oder Befreiung, die medial vermittelt werden können – und die damit ästhetisch sind.
Iokaste hat den Schrei des Mannes schon bei der Geburt gehört, den Vortodesschrei. Deswegen ist sie für mich die Figur, die alle Geheimnisse der Männer kennt und den Auftrag bekommt sich umzubringen. Sie hat diese Geheimnisse gelüftet, ohne es zu wollen, deswegen sollte sie sich im Schlafzimmer aufhängen. Ich fand es immer interessant, dass sie sich im Schlafzimmer aufgehängt hat, an dem Ort wo Geburt, Tod und Sexualität stattfinden.

Dass ich die Figur, die bereits so oft hingerichtet worden ist, entkommen lasse, ist nur ein Hinweis darauf, dass es in Wirklichkeit so sein sollte: dass die Iokastes entkommen sollten statt dem Auftrag zum Selbstmord nachzukommen. Den verüben immer noch viel zu viele Frauen, weil etwas nicht funktioniert, weil der innere Vater – wie das in Amerika heißen würde – immer noch zu dominant ist. Oder sie bauen ihre Essstörungen aus, sodass es nicht mehr geht. Alle diese Personen könnten im Medium gerettet werden – und wenn es da möglich ist, müsste es ja auf die Wirklichkeit reflektieren und dort ebenfalls möglich werden. Wenigstens im Entwurf.



 


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