Das
Hörstück von Friederike Mayröcker und Bodo Hell ist
ursprünglich als Soundinstallation für den Außenraum
aufgenommen worden war: „vom Umarmen des Komponisten auf dem
offenen Soffa“ ist als Zusammenarbeit von Mayröcker und Hell
für die Organisation Tonspur
in Wien entstanden. Zu hören war die Soundinstallation letztes
Jahr in der Tonspur-Passage im MuseumQuartier, sowie in Berlin auf dem
Schlossplatz. Fürs Kunstradio wurde das Hörstück zu
einer Radioversion in 5.1-Surround-Sound verarbeitet.
Der Text
der 1924 in Wien geborenen Dichterin Friederike Mayröcker bezieht
sich auf das Leben des Komponisten Robert Schumann, der mit der
Pianistin Clara Schumann verheiratet war und seine letzten Lebensjahre
an Wahnvorstellungen leidend in einer Nervenheilanstalt bei Bonn
verbrachte. Die ärztlichen Aufzeichnungen aus dieser Zeit, die
detailliert Tagesabläufe, den gesundheitlichen Zustand Robert
Schumanns bis hin zu seiner Verdauung und therapeutische Methoden
enthalten, sowie Briefe und Tagebücher Clara Schumanns hat
Mayröcker für die Recherche verwendet. Dennoch löst sich
ihr Text von der Biographie Schumanns los, etwa in dem sie seinen
Charakter mit anderen Persönlichkeiten, auch ihrer eigenen,
überlagert, oder indem sie die Personen in die Gegenwart holt,
wenn sie etwa telefonieren oder ins Café Drechsler gehen. In
Reaktion auf Mayröckers Neologismen und Traumwörter hat der
Autor Bodo Hell den Text mit zwischenrufartigen Anmerkungen versehen
und seine Gedanken dazwischengeschaltet – für beide eine
sehr anregende Form des literarischen Austauschs.
Eingelesen
haben die beiden ihre jeweiligen Texte selbst und separat, um nicht
auch noch auf die akustisch direkt aufeinander einzugehen, denn im
Grunde handelt es sich um eine Lektüre mit zwei Stimmen.
Arrangiert wurde das Material in 5.1 Surround Sound von Tonmeister
Martin Leitner, wobei die Stimmen jeweils unterschiedliche Spuren
belegen.

Foto by Didi Sattmann
Elisabeth von SamsonowZu Friederike Mayröckers TONSPUR„vom Umarmen des Komponisten auf dem offenen Soffa“MuseumsQuartier Wien / Schloßplatz Berlin „Glücklicherweise
ist Friederike Mayröcker eine Autorin, die Texte produziert, in
denen das Ereignis der Textwerdung selbst Thema ist. Das sind dann die
Texte, auf die sich die Literaturwissenschaftler stürzen wie
Ertrinkende, um aus ihnen das jeweilige Textgeheimnis herauszusaugen.
Friederike Mayröckers innere Maschinerie der Textproduktion wird
von berufenen Anatomen bzw. Literaturwissenschaftlern, dies ich auf
derlei Organe spezialisieren, ausführlich unter die Lupe genommen.
Ihre Anatomie ist soweit schematisch bekannt, ungefähr wie die der
Vaucansonschen Ente. Dieser berühmte Automat wurde mit
Weizenkörnern gefüttert und produzierte dann wirklich ein
Verdauungsprodukt. Die Vaucansonsche Ente war eine Sensation, ein
lebendiger Apparat. Friederike Mayröckers Anatomie ist etwa
folgendermaßen angelegt, wie sie selbst nicht müde wird, zu
versichern: Die Ausgangsmaterie der Textproduktion ist immer das zu
Sehende. Dieses zu Sehende, welches Mayröcker nicht nur als
radikaler Augenmensch, sondern auch als veritable Seherin – wenn
es erlaubt ist, diesem medialen Titel an dieser Stelle einen neuen Sinn
zu geben – zu sich nimmt, wird also nun „umgesetzt“,
wie der schlechte neudeutsche, allerdings sehr treffend an die
Dimension des Stoffwechsels erinnernde Begriff hieße. Friederike
Mayröcker setzt also nun das zu Sehendem in Geschriebenes um, an
sich bereits ein Vorgang, der an Kunstfertigkeit den Mechanismus der
Vaucansonschen Ente weit in den Schatten stellt. Der französische
Anthropologe Leroi-Gourhan hätte gesagt, besagter Akt vollzieht
sich im Auge-Hand-Feld, indem das Auge in inniger Komplizenschaft mit
den Händen (tippend) eine ungeheuerliche Transformation am
sichtbaren Ausgangsstoff vollzieht. Die Seherin evaporiert
gewissermaßen die Zeilen aus den Augen, unterstützt durch
die schwirrende und schwärmende Tätigkeit der Finger auf den
Tasten. Damit könnte der Vorgang soweit in seinen wichtigsten
Zügen beschrieben sein, wäre da nicht eine weitere Umsetzung,
die am Medienkreis des Sichtbaren-Lesbaren hängt wie ein weiterer,
nämlich wie ein Operationsverstärker (dies ein Begriff aus
der Elektrotechnik). Es handelt sich um den (Schalt-)Kreis, der
zwischen dem Lesbaren und dem Hörbaren, sofern diese wiederum mit
Sprechen und Hören in ein und demselben
Selbstverständigungsakt zusammenhängen, vermittelt. Die
Schrift also, die sich ihrerseits so klar einem Exzeß,
nämlich dem exzessiven Sehen, der concupiscentia oculorum,
verdankt, ist nicht bereit, sich in sich selbst in Schranken zu halten
(content, Inhalt). Beziehungsweise: es ist ihr nicht möglich. Das
volle Auge, aus dem die Schrift wie aus einer Quelle hervorgequollen
ist, nämlich als Tränenschrift, verpflichtet also die Autorin
zum medialen Exzeß, was nichts anderes heißt wie: immer und
wieder überquellen wollen und müssen, wie der berühmte
Hirsebrei im Märchen überläuft. Gewissermaßen in
Befolgung der biblischen Devise, die da besagt, daß des Mund
überläuft, wes Herz voll ist, blähen sich einige der
Texte gleichsam auf (se gonflent) in der Forderung nach Intonation. In
dem so harmlosen klingenden Gattungsbegriff des
„Hörspiels“ ist dieser Imperativ des nach seiner
Verlautbarung drängenden Geistes unter den Tisch gefallen. Die
Forderung des Textes nach seiner Verlautbarung führt also die
Aufgabe ein, nicht nur, wie üblich, die Sprechwerkzeuge die
lautlosen und eigentlich lächerlichen Schrumpfbewegungen
ausführen zu lassen, die wir reflexartig bei der stillen
Lektüre vollbringen, als physische Erinnerung an ein ehemals
lautes Lesen, sondern durch den volltönenden gestalteten Vortrag
diejenige Dimension aus dem Text wieder zu explizieren, zu entfalten
(Exzeß, „Hervortritt“ werden zu lassen), die an ihm
„Lautschrift“, Komposition aus Gurr-, Knack-, Summ- und
Schnalzlauten, durchsetzt vom Vokaltönen, ist.
Das zu Sehende, das zu Hörende Im
luziden Text eines Hörspiels aus dem Jahr 1997 läßt
Mayröcker die beiden Protagonisten – man könnte auch
sagen: Genien – ihres künstlerischen
„Operationsverstärkers“ (Schaltkreis zwischen dem zu
Sehenden/Lesenden und dem zu Hörenden) logischerweise
nebeneinander auftreten. Es sind dies Narkissus und Echo, wie es auch
nicht anders sein kann. Narkissus steht für die Instanz, die im
Sichtbaren unmittelbar Spiegelbildlichkeit verzeichnet. Alles Sichtbare
ist demnach Narkissus-relevantes, diesen selbst widerspiegelndes
Objektives. In Narkissus ist ein besonderes Verhältnis zum
Sichtbaren ausgedrückt. Wenn man sich beispielsweise an
Caravaggios Narziß-Bild erinnert, wird man darin die Ikone einer
Kunst ausmachen können, die insofern dem Sichtbaren den Vorrang
gibt., als in ihm wohl ein Löwenanteil an Wahrnehmbaren zu
Verfügung steht (auch die Schrift, dann. Insofern nicht nur
Privileg der MalerInnen). Mayröckers Narkissus im Stück
„das zu Sehende das zu Hörende“ starrt etwa „das
mit weißer Kreide gezeichnete Fenster“ an, während
Echo tut, was sie tun muß, nämlich als Zwittergestalt
über dem Schädel des Narziß kreisen. In der Nähe
eines Sofas, auch diesmal, wiederholt Echo mechanisch selbst die
Schmerzensschreie des Narziß. was die Autorin mit einem in
Klammer gesetzten Kommentar versieht: „(sie echot vor sich hin,
echot ihre eigenen Phantasien)“ (Friederike Mayröcker: das
zu Sehende, das zu Hörende, Frankfurt/Main 1997, S.18f )
Mit
der TONSPUR für die Passage im MuseumsQuartier ist eine Arbeit
entstanden, die das Thema der reflektierenden Sprache (Echo) wieder
aufzunehmen scheint, diesmal gebunden an das Thema des Komponisten und
dessen Frau, Clara. Die imaginäre Anatomie Mayröckers, die
dem Sichtbaren den Vorrang gibt, wird auch in diesem Stück
eingeführt, und zwar gleich in den einleitenden Passagen, in denen
von einer fehlenden Person auf einer Photographie die Rede ist. Bevor
also noch der Komponist zur Sprache kommt, also das Thema Ton und
Tönendes Gegenstand der Tonspur wird, versucht die Autorin, den
Hörer durch die Einführung einer raffinierten bildlogischen
Erzählung zu fesseln Die bildlogische Erzählung ist
berichtet von einer Frau, die man unfreiwillig photographiert hat und
die dann auf dem Bild fehlt. Dort, wo sie zu sein hätte, ist sie
auf dem Bild ausgeschnitten. Das Bild, auf dem etwas fehlt,
nämlich die Figur der Frau fehlt, zwingt uns zum Sprung mitten in
Mayröckers Medien- oder Mädchenlogik. Die fehlende Frau auf
dem Bild kann die nicht sichtbare Sprecherin sein, die abwesende
Sprecherin. Ist es vielleicht sogar die Autorin? Dann der Schwenk, die
Kurve zur Pianistin, die weiterhin die Instanz bleibt – so
die Pianistin - , die alles bezeugt oder deutet. Auch der Komponist
hat, in armseligem moribunden Zustand, Recht auf ein: „so der
Komponist.“. Dann wird allmählich klar, was den Bauplan
dieses Stücks ausmacht: die Verweise auf das Telefon, auf den
Hörer, auf das Grammophon, auf die ganze Phonie und Telephonie,
ineinandergeflochten mit der Dramaspur des „verwelkenden“
Komponisten und den interessanten Zuständlichkeiten der Pianistin,
unter ihnen insbesondere das „bisschen Schwangerschaft“.
Wenn die Ohren ins Spiel kommen, wird immer von Hörigkeit und
Empfängnis die Rede sein, von Wahrnehmungsqualitäten also,
die den Operationsverstärker (als vertonter Text, als gesprochene
Rede, als Verlautbarung des Geistes) ausmachen und ihm die Farbe geben.
Diesmal tönt es so, als seien die Rollen vertauscht: der
Text, außerordentlich gut gesprochen von der Autorin selbst, wird
umflattert und umrauscht von einer suggestiv wispernden, aufgeregten
Stimme. Diesmal ist Echo männlich, spricht mit der Stimme von Bodo
Hell. Die mit Schumann und Clara „befreundete“ Autorin, die
die beiden aus nächster Nähe beobachtet und mit ihnen in der
Stadt herumgeht, in einer fiktiven privilegierten Interaktion, ist aber
eigentlich nicht Narziß. Auch sie ist Echo, eine Version der
Echo, eine aufgeklärte, sich selbst als Ursprung der
Erzählung konstituierende Echo. Das ganze Stück ist also
Echo-Stoff, d.h. der Herstellung und gleichzeitigem Lauschen des Halls
der eigenen Stimme, die sich in einer Erzählung von der
Verzweigung der hörbaren Dinge ergeht, verpflichtet.
Link:TONSPUR 35 |