
Der
in Berlin und Amsterdam lebende Künstler Achim Lengerer hat mit
der Performance-Radio-und-Publikations-Reihe Scriptings eine Plattform
für Kollaborationen und Projektreihen geschaffen. Als Scriptings
#13 entstand im Rahmen eines Workshops in der senegalesischen Metropole
Dakar mit Filmemachern und einer Ökonomin das Radiostück
„S’Exercer à la Prise de la Parole“, das zu
Beginn der Sendung zu hören ist. Im Interview in seinem Atelier in
Berlin erklärt Lengerer die Vorgehensweise, sowie das Konzept von
Scriptings. Dieser Begriff ist übrigens ein Kunstwort, das sich
aus „Script“ und „Writings“ zusammensetzt, aber
als solches nicht im Englischen Sprachgebrauch ist.
Sein
neues Radiostück „Little Body Heart Beating I: Rehearsals
with Sally” entstand im Rahmen eines Atelieraufenthaltes im
Künstlerhaus Büchsenhausen, wo Lengerer gemeinsam mit einer
Performerin und ausgehend von einem Film eine Performance, eine
Publikation, sowie die Radioproduktion erarbeitete.
Achim
Lengerer arbeitet an einer Buchpublikation in
„erzählender Skriptform“ als Weiterverarbeitung bzw.
Hineinarbeitung in ein schon bestehendes Skript: François
Truffauts und Jean Gruaults L‘Enfant Sauvage aus dem
Jahre 1969. Der Film basiert auf der Lebensgeschichte des Wolfsjungen
Victor von Aveyron, wie sie von dem Taubstummenarzt Jean Itard
aufgezeichnet wurde. Um 1800 wird Victor von Aveyron als zirka
Zehnjähriger in den Wäldern Südfrankreichs aufgegriffen
und gelangt nach einigen Umwegen in das nationale Taubstummeninstitut
in Paris. Dort und später in seinem eigenen Landhaus versucht
Itard dem Kind Schreiben, Lesen und vor allem Sprechen beizubringen.
Dieser letztlich gescheiterte Versuch der Zivilisierung und seine
pädagogische Herangehensweise sind Themen von Itards
Aufzeichnungen. Truffaut, der sich eng an Itards Aufzeichnungen
hält, übernimmt in seiner Verfilmung zum ersten Mal eine
Rolle als Darsteller – die des Jean Itard. Für die Besetzung
des Victor arbeitet Truffaut nach einem langwierigen Casting mit einem
Sinti-Roma-Jungen zusammen, Jean-Pierre Cargol, der selbst ohne
Schauspielerfahrung ist. Truffaut verdoppelt auf diese Weise beim
Drehen des Films die Motivkette: Lehren, Lernen, Lehrer, Lernender im
Selbst-Lernversuch vor der Kamera. Zur Erarbeitung verlagerte
Achim Lengerer einzelne Schritte des Arbeitsprozesses in
öffentlichen Veranstaltungen nach außen. Das
„Werkzeug“ hierzu ist Lengerers instant publishing
Reihe Scriptings. Bereits rein sprachlich hybrid zwischen
„Script“ und „Writings“ angelegt, dient dieses
Format als Container für Materialien sowie als Modul im
Herstellungsprozess: Abschrift, Transkript, Notiz, Logbuch.
Little
Body Heart Beating I: Rehearsals with Sally präsentiert die
im Fellowship des Künstlerhaus Büchsenhausen produzierte,
gleichnamige Scriptings-Publikation, bestehend aus einem Reprint
der Filmzeitschrift L'Avant-Scène no 107, Oct.
1970, und einem „Skript“, das sich aus Gesprächen
und Situationsbeschreibungen aus den Probesessions mit der Performerin
Sally Musleh Jaber generiert hat. Das Tonstück verschneidet
Probesituationen mit einem Live-Mitschnitt der Performance im
Künstlerhaus Büchsenhausen in Innsbruck Anfang Juni 2011.

Ton: Michael Mangweth und Fridolin Stolz Die
Ausstellung „Weiterkommen. Kunst Sprache Kino Migration“,
kuratiert von Andrei Siclodi, mit Arbeiten von Rainer Bellenbaum,
Farida Heuck, Susanne M. Winterling und Achim Lengerer ist noch bis 23.
Juli 2011 geöffnet.
Link: http://www.buchsenhausen.at/modules.php?op=modload&name=PagEd&file=index&topic_id=16&page_id=555
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