Cover, discover, recover: Vierzig Jahre nach dem Bürgerkrieg und dem Genozid durch die Khmer Rouge (1975-1979) erhebt sich Kambodscha langsam aus dem Trauma. Im Vietnamkrieg war das (neutrale) Land ins Spiel der Großmächte geraten, mehrere Kriegsjahrzehnte warfen es aus der Bahn.
Das Kunstprojekt re/dis/cover. Kambodscha kuratiert von Gertrude Moser-Wagner in Wien griff das Thema auf, zeigte Dokumentarfilme und künstlerische Fotografie, streifte Spuren des Unsagbaren und erstaunte durch originelle Ideen zur Alltagsbewältigung. Kambodschanische Menschen lieben Musik. Kambodscha war als Teil Indochinas eine französische Kolonie und ist seit 1953 selbständig. Die Hauptstadt Kambodschas Phnom Penh war bestens vernetzt mit den Zentren Europas und Amerikas und hat, auch durch Prinz Sihanouk gefördert, Rock- und Popmusik in der Landessprache Khmer hervorgebracht.
Gertrude Moser-Wagner wurde 2015 durch eine Veranstaltung über die künstlerische Dokumentation des kollektiven Traumas an der Akademie der Künste Berlin zu ihrem Projekt inspiriert. Kambodscha, der unvorstellbar grausame Krieg, auf den der Westen nachlässig reagiert hatte. Zwei Jahre später reist Moser-Wagner selbst nach Kambodscha, in die Hauptstadt Phnom Penh um im Deutsch-Kambodschanischen Kulturzentrum Meta House, gegründet von dem Berliner Filmemacher Nico Mesterharm eine Performance-Lecture zu halten. Das Meta House ist Treffpunkt der Szene, Produktionsstätte für Film, mit Büro, Bar und offenem Kinoraum. Veranstaltungsort mit laufendem Programm ebenso wie beliebter Partytreff. In „re/dis/cover“ wirft eine Reisende, Fragende, Hörende die Bildhauerin und Projektkünstlerin Gertrude Moser-Wagner Außenblicke auf das südostasiatische Land. Inneneinsicht bietet die kambodschanische Dokumentarfilmerin Sopheak Sao in PHNOM PENH FM: RE / DISC / OVER. „re/dis/cover“ von Gertrude Moser-Wagner NCA New Cambodian Artists 2017, Foto: Gertrude Moser-Wagner PLAYGeschäftsleute auf der einen Seite, sie wollen aufbauen, reich werden, wie überall sonst. Andererseits gibt es junge Menschen mit kultureller Sehnsucht nach Verbindlichkeit, die die alten Khmer-Tänze neu erfinden: rediscover. Unerschütterliche jungen Frauen etwa, die mutig in die Zukunft schauen, sich schulisch bilden, ihre Familien unterstützen. Näher besehen, da und dort die Versuche, durch Kunst etwas zu vermitteln, zu heilen - seien es Dokumentationen des Ist-Zustandes oder neue Theaterformen. Nirgends scheint Identitätssuche und kulturelles Gedächtnis wichtiger, nötiger als an einem Ort, wo 90 Prozent der Künstler und Künstlerinnen fehlen, getötet durch die Khmer Rouge. In der Stadt Siem Reap entwickeln die Tänzerinnen der Gruppe New Cambodian Artists einen Modern Dance mit alten Handgesten der Apsaras. Diese kommen in hinduistischen und Teilen der buddhistischen Mythologie als halb menschliche, halb göttliche Frauen vor. Angkor Wat ist übersät mit Reliefs dieser Tempeltänzerinnen. Eine unerwartete Unmittelbarkeit: Die Aufmerksamkeit wird auf Soundscapes, Gespräche, Mitschnitte und Sprechformen, Zeichnungen und Aufnahmen fotografischer Art gelenkt, es ist sonst kaum zu fassen. Interview- und gesprächspartner*innen: Thonevat Pou, Sophorn Ban, Inge Mesterharm-Dähne, Khon Sreyneang & NCA-New Cambodian Artists, Ouk Sampors, Bob Bruijzendaal, Rithy Teng, Rotha Teng. PHNOM PENH FM: RE / DISC / OVERvon Sopheak Sao mit Chris Zippel, Jan Mueller und Nico Mesterharm Videostill: The Beauty and the Beat © Sopheak Sao PLAYKak Channthy und Sopheak Sao teilten die Leidenschaft für den kambodschanischen Rock'n'Roll der 1960er Jahre, den sie - wie 80% der Gesamtbevölkerung, geboren nach 1979 - nur von Audioaufnahmen, Bändern oder Radiosendungen kennen. Aufgrund des Völkermords der Roten Khmer (1975-79) und drei Jahrzehnten Bürgerkrieg gibt es im Land fast kein Original-Vinyl mehr. Die Lieder des "Kambodschanischen Elfen" Sin Sisamouth und seiner Zeitgenossen, die meist von den Kommunisten getötet wurden, erinnern noch immer an die ältere Generation der besseren Zeiten, als Kambodschas König Sihanouk sein Land zur "Schweiz Südostasiens" entwickeln wollte und die kambodschanische Popkultur auf dem gesamten Subkontinent sehr beliebt war. RE / DISC / OVER versucht zu erforschen, wie die Khmer heute auf eine Art und Weise leben, die den Geist und die Musik der "Goldenen Ära" ehrt, zu hören sind unter anderem Audioausschnitte aus Sopheak Saos Filmen, Feldaufnahmen, überarbeitete Plattensamples oder Live-Scratching. In Kooperation mit der Medienwerkstatt Wien, dem Weltmuseum Wien und dem Meta House Phnom Phen unterstützt durch das Goethe Institut. Links: Don’t think I have forgotten Medienwerkstatt Wien Meta House Phnom Phen Weltmuseum Wien |