Sonntag, 12. November 2023, 22:05 - 23:00, Ö1

ENGLISH

RADIOKUNST - KUNSTRADIO










Am Bildrand ein oder
zwei verwischte Mädchen

Liedchen für die ermordeten Roma
von Markt Allhau und Buchschachen

von Peter Pessl



Fast alle Romasiedlungen im Burgenland wurden durch die nationalsozialisitische Vernichtungspolitik zerstört und in Folge der österreichischen Verdrängungskultur der Nachkriegszeit zu allermeist nicht wieder aufgebaut, ihre früheren Standorte sind in vielen Fällen im Gelände nicht mehr erkennbar, nur mehr wenigen bekannt, und sehr oft bis heute keine Orte des würdigen Gedenkens an die zahlreichen, für immer verschwundenen Mitbürger:innen. So auch in jenem südburgenländischen Ort, in dem ich seit 2010 mein Atelier eingerichtet habe, der aus zwei Ortsteilen, nämlich Markt Allhau und Buchschachen, besteht. In beiden gab es bis Anfang der Vierzigerjahre des 20. Jhs grössere Romasiedlungen, von denen nichts geblieben ist als der Naturraum, der sie einst umgeben hat, und eine ferne, kaum noch wahrnehmbare, verwischte Erinnerung, wie sie sich in Berichten von Zeitzeug:innen, aber auch in den wenigen erhaltenen Fotografien von Bewohner:innen und ihren Wohnstätten der Betrachter:in mitteilt.
Von den etwa 370 Roma, die vor dem „Anschluss“ in Markt Allhau und Buchschachen lebten, überlebten nur 24, noch weniger kehrten dauerhaft dorthin zurück, alle anderen wurden in den Vernichtungslagern, allen voran in Chelmno, Auschwitz-Birkenau, aber auch in Mauthausen ermordet. 2023 jährt sich die Deportation und Ermordung der letzten bis dahin im Burgenland verbliebenen Roma zum achtzigsten Mal.
So weit mir bekannt ist, wurden die nach Kriegssende zurückgekehrten Roma im Burgenland nur in Ausnahmefällen einigermassen entschädigt, zu allermeist aber nur widerwillig geduldet, und kaum je in einer Art und Weise in ihre Heimatgemeinden wieder aufgenommen, wie es angemessen gewesen wäre. Würdige Gedenkorte werden bis heute nur unter öffentlichem Druck nach und nach eingerichtet, das Bedürfnis sich an die unter schlimmsten Umständen für immer verschwundenen Mitbürger:innen zu erinnern und ihrer zu gedenken ist noch immer nur in Ansätzen vorhanden. So soll dieses Radiostück auch ein Anstoss sein auf diesem langen Weg das Verdrängte, in diesem Fall mit den Mitteln der Kunst, in die Mitte der Gesellschaft zu holen und so nach und nach zu erlösen, nicht nachzulassen.

Eine der erwähnten, überaus eindrucksvollen Fotografien, die trotz ihres ausschnitthaften Charakters und der oft problematischen Umstände ihrer Entstehung, einen höchst verdichteten Einblick in das Alltagsleben der Roma der Zwischenkriegszeit geben, (sie stammt aus der Fotosammlung des burgenländischen Landesarchivs und ist unter anderem in der wegweisenden Publikation: „Einfach weg!“ Verschwundene Romasiedlungen im Burgenland, herausgegeben von G. Baumgartner/J. Brettl, new academic press, wiedergegeben), zeigt eine Gruppe von Bewohner:innen der Romasiedlung Buchschachen bei einer Polizeirazzia in den Dreissigerjahren.
Diese Fotografie, insbesondere die schemenhaften Gestalten am Bildrand, haben mich dazu aufgerufen, ein lange geplantes Radiostück über die verschwundenen Roma meiner, nach Wien, zweiten Wahlheimat, nun auch zu realisieren.

  • Romasiedlung Buchschachen, 1930er Jahre,
    Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Fotosammlung

  • Ausgehend von dem im Anschluss publizierten, längeren Gedicht mit dem Titel: „Am Bildrand ein oder zwei verwischte Mädchen“, das um jene Fotografie und die auf den weiteren erhaltenen Fotografien wiedergegebenen Siedlungsorte und Naturräume kreist, versammle ich an die 100 Sounds aus verschiedensten Richtungen, um die Ermordeten und ihr tragisches Schicksal zu erinnern.
    Mein Interesse gilt dabei ganz besonders den gleichsam an die Grenze der Sichtbarkeit und darüber hinaus Gedrängten, den „verwischten Menschen“ am Bildrand, den im Hintergrund Kauernden, deren Gesichter verloren sind, die in dem Moment, in dem wir sie zu betrachten suchen, dabei sind sich in den Nebeln der Geschichte für immer verlieren. Sie gilt es für die Dauer eines Hörstücks für Radio hörbar zu machen, und so ein Stück weit dem ungnädigen Vergessen zu entreissen.
    Dabei vermeide ich, wie es in meiner Arbeit immer der Fall ist, jeden Naturalismus, das heisst, dass die Naturgeräusche und Stimmen, die es zahlreich zu hören gibt, immer aus anderen, weit entfernten, fremden Kontexten stammen, immer wieder sind es Soundpartikel, die nur den Eindruck erwecken wollen in den Naturräumen, um die es inhaltlich geht, generiert worden zu sein, darüberhinaus wurden sie allesamt im Studio bearbeitet, verfremdet, dekonstruiert.
    Vorgefundenes Soundmaterial, unkenntlich gemacht, ausradiert und überschrieben, neu strukturiert und arrangiert, sowie ausgewähltes Material aus meinem Soundarchiv, - ich möchte die verwendeten Aufnahmen, die immer ins Entfernteste, Gegensätzlichste ausgreifen um das Nahe, das Naheliegende, Intime darzustellen, „desperate Assoziationen, Trigger, emotionale Schocks“ nennen-, bilden die Zutaten für die Partitur dieses Stückes, das durchaus als Soundtrack zu einem imaginären „Film“ der Fotografien aus den verschwundenen Romasiedlungen, (wie sie in „Einfach weg!“ Verschwundene Romasiedlungen im Burgenland, versammelt sind), gehört werden kann.



    AM BILDRAND
    EIN ODER ZWEI
    VERWISCHTE MÄDCHEN

  • Und zeigte mir
  • eine blutige Hand, was, unter
  • Hirten und Heiligen,
  • Genauigkeit ist in der Schwanensprache,
  • die du brauchst
  • als stummer Versuch
  • der Auen und Schluchten:
    • „Ich bau´ mir mein Mädchen
    • aus Pressstroh, Planken, dem
    • Schwalbenlehm aus blauen,
    • benzingeäderten Pfützen,
    • die leicht brennen,
    • was schönes Feuer gibt
    • die Vernunftwelt!“
  • Aber Vernunft, gerade, unter Vampiren
  • der Wahnwelt, die schwalbe Säumigkeit nämlich
  • tötet, die Fressvernunft des Gewährenlassens,
  • des Zurinnens Zustimmens, und




  • seigte mor enne bluticke Handd,
  • die wischte,
  • die zischte, zappelte,

    • die einfach vorantrieb das
    • tödliche, unvermeidbare
    • das Riesengeschick in den
    • Bachläufen, im Haselnuss,
    • Dickicht: „Mein Leben, es ist
    • gar so sehr zerstört,
    • es könnte gern,
    • im Windgeviert,
    • in den Himmeln über Jerusalem,
    • von neuem beginnen!“


    • zerrinnen,

    • was zerrinnt, ist gleich
    • fernöstlich klar:
    • es färbt ab das Licht
    • in den Kopfweiden,

  • es färbt ab das Wolkenlicht
  • in der verbrannten Romasiedlung von Allhau
  • Ojhava Alhó Bujschocha,
  • sprich mir nach: „es färbt so funkenknisternd




  • faltenfrei ab als ob du
  • mit Kleist sprichst, feiertags,
  • der nicht widerspricht,
  • oder samtene Flämmchen
  • ausbreitend, mit Chopin,
  • der nicht widerspricht,
  • es bestimmt dein ganzes, weiteres Leben
  • ob du den glühenden Hauch des Augusts
  • umarmst, oder in der Mittagshitze der Auen
  • der Lafnitz den Nächsten tötest,
  • den Besten, Namensnächsten und
  • Seelenweiss-Freund,
  • niederbrennst, der dir anvertraut
  • als Ärmster der Armen,
  • der sein Leben auf Luft baut“

  • (es gibt nichts zu verstehen, sehen
  • serrn


  • srn


  • sarin, sarrazin, sarazen),

  • es gibt, im Akaziendickicht, zu hören:




  • „Mein Wanderleben, es iss so hin,
  • dass es nimmerlein nasenklein
  • von neuem beginnt:
  • Huflattichblättchen im
  • zitternden, vögleinfrierenden Wäldchen
  • einer Aue, durchquert im Blindflug, Achse und
  • Anker, die Blättchen, tanzend, ein kreischendes Weltgestänge
  • Gedränge, ach Autobahnbrücke, die alles zerschneidet,
  • die alles verbindet, die führt hin zu einer
  • silbernen, allseits
  • ausblutenden Ringeltaube
  • im Graben…“









  • Leerstelle 1:

  • „Auf dem Gelände der 1943 zerstörten Romasiedlung
  • von Markt Allhau“






  • **




  • „Riesengeschick“,
  • so sei´s dir gesagt
  • vom „Führer“,
  • dass du glaubst,
  • mein sabellisches Mädchen, du seist
  • von Riesen umgeben, roten Rittern,
  • Heerführern und Fallenstellern
  • der Weltgeschichte,
  • „Vorsehung“,


  • so sei´s dir gesagt,
  • die langsam vor dir ins
  • Wiesengrün ausblutet,
  • unne me dicere
  • „Verdrehung?“,
  • wanne de dicere
  • „Hundsrosengestick?“,


    • oder lieber im Tannwald,
    • dass du einmal, am Luciatag, mir begegnest,
    • Mädchen Namenlos Nada Näschenklein
    • lauschig Nebelnemesis blindes Verstehen,
    • erblindetes Sehen ins Tropfen, Klopfen,
    • eine ausgeblutete Hand im Gestrüppskelett,
    • Lanzen und Langbögen, Äxte
    • und wirbelnde Trümmer,



  • Nemesisnoppen eines zerstörten,
  • (unbändig sich erneuernden)
  • unne me dicere
  • „Wirtschaftswald“



  • Hinter der Szene habe ich niedergeschrieben die Vogelschar der
  • leichtbekleideten Kinder, den Hufschmied, gebückte Herdmütter,
  • das Pferd an der Tränke, winselnd, winkend, „wem bist du
  • aufm Leim jegangen, min Kindsche?“



  • Hinter der Szene, die leicht hinkt, habe ich nach Hütten
  • der Ermordeten gesucht und gefunden Leuchten
  • (die Leier, die alte: „nichts als das“),
  • im simmernden Geäst des Hollers,
  • in einem Sepsisfrühling, wollte ich es gleichtun
  • dem Holler, der strickt das Lauschen, Lecken
  • die Larynxfeuchte mit dem
  • Amaryllisleuchten am Fenster
  • zu einem Frühling, der nicht vergeht,


  • der weht


  • Mädchenblut


  • von Eichblättern





  • darunter fliesst verdoppelt die Lafnitz,
  • (einmal hin und einmal zurück,
  • einmal auf und nieder ins
  • Nussige, Angstnasse, ins Nierengebüsch),
  • dahinter die Strem, die siebenfache, einwärts strahlende,
  • striemende, am Autobahnzubringer
  • Vorfrühlings Hautnähe eines gelben
  • Vögelchens, bevor es zerbricht,
  • am Bildrand ein
  • oder zwei verwischte Mädchen, die
  • kichernd zu mir hinüberrufen:



  • „Un tropocai bell,
  • unne sonderraie sonderzugk
  • ab Aspen frippberg,
  • Felsöör erba nache Winne, nache
  • Aspang, Bahnhofe unse Wallachei!“



  • Keine ist wiedergekommen
  • (oder eine?)


  • (kenne) die eine
  • Hundsrose am Haselgraben,





  • dr silppricke
  • dorrn im Schuhh…



  • Ruft der Dorn:
  • „Der Hufschmied
  • und die Senfblüte:
  • ein und dieselbe
  • Person, Perron…!“



  • Rufen die Mädchen:
  • „o drom baro sin i tsar bardjolahi
  • o dombo hi zeleno!“
  • „Regen fällt, das Gras ist gewachsen;
  • der Berg ist grün!“*








  • Leerstelle 2:

  • „Auf dem Gelände der 1943 zerstörten Romasiedlung
  • von Buchschachen“




  • ***




  • Mein „Riesenleben“,
  • lass dir sagen,
  • eines haarigen Zwerglings,
  • das dem euren ganz gleicht
  • (aber es gelingt nie
  • zu gleichen, im mindesten
  • gasgleich zu sein, beglichen),
  • mein „Rieselleben“
  • (eines unfruchtbaren Setzlings)
  • verrieselt,

    • in den Flussschlingen Sternlings Mosaiken
    • jettschwarzen Staubecken der Strem, die
    • arretiert, sorgsam, ob tupfend, ob Lehm
    • schöpfend aus, lauter, Pfützen, nach
    • Mütterchen Mäuschens Ungarland fliesst
    • und nicht mehr zurückkehrt
    • so sehr ich auch rufe:

    • „Mäusele Mäusele
    • wo min Häusele,
    • „nan man blajbens andre mo satno khere
    • traurigi cerheni ando uco nebo,
    • ich habe keine Bleibe in meinem eigenen Haus

  • ein trauriger Stern am hohen Himmel“,*
  • asch, asch, min Mäuselinchen!“



  • Es ist Menschenwind, fleischfarbener,
  • der aus dem Dickicht kroch
  • bei den Flussschlingen, gelben, gingen,
  • der Lafnitz, den Mädchenwiesen,
  • und einen Gendarmen machte,


  • des Kaisers?
  • der tropfenden Republik?
  • des eine-blutige-Kindshand-Führers?


  • der euch abholte,


  • so seid ihr



  • ein oder zwei verwischte Mädchen
  • an der Grenze zum Mutter-Reich
  • der Schneegöttin Lucia,
  • (es beginnt am Dornhag:
  • die Schneeseele selbst),
  • mit dem einen Fuss in Gedächtnis
  • (gleichsam schon-nicht-mehr-seiend),
  • mit dem anderen in Erwartung
  • des Kommenden (aber gasförmig,
  • als Pulver über Schloten)






  • steckengeblieben,


  • und zerrissen in einerlei
  • Nichts und Wiedernichts,


  • (diese heiligen zwei)


  • und Schneestweisse




  • Anmerkung: Die heilige Lucia ist seit dem Mittelalter, seit der Spätantike, vermute ich, die Schutzpatronin von Markt Allhau.
  • * Aus einem Roma-Volkslied der Zwischenkriegszeit
  • * Aus dem Lied „Traurigi Cerheni“, „Ein trauriger Stern“ der Roma-Dichterin Paula Nardai