Fast alle Romasiedlungen im Burgenland wurden durch die nationalsozialisitische Vernichtungspolitik zerstört und in Folge der österreichischen Verdrängungskultur der Nachkriegszeit zu allermeist nicht wieder aufgebaut, ihre früheren Standorte sind in vielen Fällen im Gelände nicht mehr erkennbar, nur mehr wenigen bekannt, und sehr oft bis heute keine Orte des würdigen Gedenkens an die zahlreichen, für immer verschwundenen Mitbürger:innen.
So auch in jenem südburgenländischen Ort, in dem ich seit 2010 mein Atelier eingerichtet habe, der aus zwei Ortsteilen, nämlich Markt Allhau und Buchschachen, besteht. In beiden gab es bis Anfang der Vierzigerjahre des 20. Jhs grössere Romasiedlungen, von denen nichts geblieben ist als der Naturraum, der sie einst umgeben hat, und eine ferne, kaum noch wahrnehmbare, verwischte Erinnerung, wie sie sich in Berichten von Zeitzeug:innen, aber auch in den wenigen erhaltenen Fotografien von Bewohner:innen und ihren Wohnstätten der Betrachter:in mitteilt.
Von den etwa 370 Roma, die vor dem „Anschluss“ in Markt Allhau und Buchschachen lebten, überlebten nur 24, noch weniger kehrten dauerhaft dorthin zurück, alle anderen wurden in den Vernichtungslagern, allen voran in Chelmno, Auschwitz-Birkenau, aber auch in Mauthausen ermordet. 2023 jährt sich die Deportation und Ermordung der letzten bis dahin im Burgenland verbliebenen Roma zum achtzigsten Mal.
So weit mir bekannt ist, wurden die nach Kriegssende zurückgekehrten Roma im Burgenland nur in Ausnahmefällen einigermassen entschädigt, zu allermeist aber nur widerwillig geduldet, und kaum je in einer Art und Weise in ihre Heimatgemeinden wieder aufgenommen, wie es angemessen gewesen wäre. Würdige Gedenkorte werden bis heute nur unter öffentlichem Druck nach und nach eingerichtet, das Bedürfnis sich an die unter schlimmsten Umständen für immer verschwundenen Mitbürger:innen zu erinnern und ihrer zu gedenken ist noch immer nur in Ansätzen vorhanden. So soll dieses Radiostück auch ein Anstoss sein auf diesem langen Weg das Verdrängte, in diesem Fall mit den Mitteln der Kunst, in die Mitte der Gesellschaft zu holen und so nach und nach zu erlösen, nicht nachzulassen.
Eine der erwähnten, überaus eindrucksvollen Fotografien, die trotz ihres ausschnitthaften Charakters und der oft problematischen Umstände ihrer Entstehung, einen höchst verdichteten Einblick in das Alltagsleben der Roma der Zwischenkriegszeit geben, (sie stammt aus der Fotosammlung des burgenländischen Landesarchivs und ist unter anderem in der wegweisenden Publikation: „Einfach weg!“ Verschwundene Romasiedlungen im Burgenland, herausgegeben von G. Baumgartner/J. Brettl, new academic press, wiedergegeben), zeigt eine Gruppe von Bewohner:innen der Romasiedlung Buchschachen bei einer Polizeirazzia in den Dreissigerjahren.
Diese Fotografie, insbesondere die schemenhaften Gestalten am Bildrand, haben mich dazu aufgerufen, ein lange geplantes Radiostück über die verschwundenen Roma meiner, nach Wien, zweiten Wahlheimat, nun auch zu realisieren.
Romasiedlung Buchschachen, 1930er Jahre,
Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Fotosammlung
Ausgehend von dem im Anschluss publizierten, längeren Gedicht mit dem Titel: „Am Bildrand ein oder zwei verwischte Mädchen“, das um jene Fotografie und die auf den weiteren erhaltenen Fotografien wiedergegebenen Siedlungsorte und Naturräume kreist, versammle ich an die 100 Sounds aus verschiedensten Richtungen, um die Ermordeten und ihr tragisches Schicksal zu erinnern.
Mein Interesse gilt dabei ganz besonders den gleichsam an die Grenze der Sichtbarkeit und darüber hinaus Gedrängten, den „verwischten Menschen“ am Bildrand, den im Hintergrund Kauernden, deren Gesichter verloren sind, die in dem Moment, in dem wir sie zu betrachten suchen, dabei sind sich in den Nebeln der Geschichte für immer verlieren. Sie gilt es für die Dauer eines Hörstücks für Radio hörbar zu machen, und so ein Stück weit dem ungnädigen Vergessen zu entreissen.
Dabei vermeide ich, wie es in meiner Arbeit immer der Fall ist, jeden Naturalismus, das heisst, dass die Naturgeräusche und Stimmen, die es zahlreich zu hören gibt, immer aus anderen, weit entfernten, fremden Kontexten stammen, immer wieder sind es Soundpartikel, die nur den Eindruck erwecken wollen in den Naturräumen, um die es inhaltlich geht, generiert worden zu sein, darüberhinaus wurden sie allesamt im Studio bearbeitet, verfremdet, dekonstruiert.
Vorgefundenes Soundmaterial, unkenntlich gemacht, ausradiert und überschrieben, neu strukturiert und arrangiert, sowie ausgewähltes Material aus meinem Soundarchiv, - ich möchte die verwendeten Aufnahmen, die immer ins Entfernteste, Gegensätzlichste ausgreifen um das Nahe, das Naheliegende, Intime darzustellen, „desperate Assoziationen, Trigger, emotionale Schocks“ nennen-, bilden die Zutaten für die Partitur dieses Stückes, das durchaus als Soundtrack zu einem imaginären „Film“ der Fotografien aus den verschwundenen Romasiedlungen, (wie sie in „Einfach weg!“ Verschwundene Romasiedlungen im Burgenland, versammelt sind), gehört werden kann.
AM BILDRAND
EIN ODER ZWEI
VERWISCHTE MÄDCHEN
Und zeigte mir
eine blutige Hand, was, unter
Hirten und Heiligen,
Genauigkeit ist in der Schwanensprache,
die du brauchst
als stummer Versuch
der Auen und Schluchten:
- „Ich bau´ mir mein Mädchen
- aus Pressstroh, Planken, dem
- Schwalbenlehm aus blauen,
- benzingeäderten Pfützen,
- die leicht brennen,
- was schönes Feuer gibt
- die Vernunftwelt!“
Aber Vernunft, gerade, unter Vampiren
der Wahnwelt, die schwalbe Säumigkeit nämlich
tötet, die Fressvernunft des Gewährenlassens,
des Zurinnens Zustimmens, und
seigte mor enne bluticke Handd,
die wischte,
die zischte, zappelte,
- die einfach vorantrieb das
- tödliche, unvermeidbare
- das Riesengeschick in den
- Bachläufen, im Haselnuss,
- Dickicht: „Mein Leben, es ist
- gar so sehr zerstört,
- es könnte gern,
- im Windgeviert,
- in den Himmeln über Jerusalem,
- von neuem beginnen!“
- zerrinnen,
- was zerrinnt, ist gleich
- fernöstlich klar:
- es färbt ab das Licht
- in den Kopfweiden,
es färbt ab das Wolkenlicht
in der verbrannten Romasiedlung von Allhau
Ojhava Alhó Bujschocha,
sprich mir nach: „es färbt so funkenknisternd
faltenfrei ab als ob du
mit Kleist sprichst, feiertags,
der nicht widerspricht,
oder samtene Flämmchen
ausbreitend, mit Chopin,
der nicht widerspricht,
es bestimmt dein ganzes, weiteres Leben
ob du den glühenden Hauch des Augusts
umarmst, oder in der Mittagshitze der Auen
der Lafnitz den Nächsten tötest,
den Besten, Namensnächsten und
Seelenweiss-Freund,
niederbrennst, der dir anvertraut
als Ärmster der Armen,
der sein Leben auf Luft baut“
(es gibt nichts zu verstehen, sehen
serrn
srn
sarin, sarrazin, sarazen),
es gibt, im Akaziendickicht, zu hören:
„Mein Wanderleben, es iss so hin,
dass es nimmerlein nasenklein
von neuem beginnt:
Huflattichblättchen im
zitternden, vögleinfrierenden Wäldchen
einer Aue, durchquert im Blindflug, Achse und
Anker, die Blättchen, tanzend, ein kreischendes Weltgestänge
Gedränge, ach Autobahnbrücke, die alles zerschneidet,
die alles verbindet, die führt hin zu einer
silbernen, allseits
ausblutenden Ringeltaube
im Graben…“
Leerstelle 1:
„Auf dem Gelände der 1943 zerstörten Romasiedlung
von Markt Allhau“
**
„Riesengeschick“,
so sei´s dir gesagt
vom „Führer“,
dass du glaubst,
mein sabellisches Mädchen, du seist
von Riesen umgeben, roten Rittern,
Heerführern und Fallenstellern
der Weltgeschichte,
„Vorsehung“,
so sei´s dir gesagt,
die langsam vor dir ins
Wiesengrün ausblutet,
unne me dicere
„Verdrehung?“,
wanne de dicere
„Hundsrosengestick?“,
- oder lieber im Tannwald,
- dass du einmal, am Luciatag, mir begegnest,
- Mädchen Namenlos Nada Näschenklein
- lauschig Nebelnemesis blindes Verstehen,
- erblindetes Sehen ins Tropfen, Klopfen,
- eine ausgeblutete Hand im Gestrüppskelett,
- Lanzen und Langbögen, Äxte
- und wirbelnde Trümmer,
Nemesisnoppen eines zerstörten,
(unbändig sich erneuernden)
unne me dicere
„Wirtschaftswald“
Hinter der Szene habe ich niedergeschrieben die Vogelschar der
leichtbekleideten Kinder, den Hufschmied, gebückte Herdmütter,
das Pferd an der Tränke, winselnd, winkend, „wem bist du
aufm Leim jegangen, min Kindsche?“
Hinter der Szene, die leicht hinkt, habe ich nach Hütten
der Ermordeten gesucht und gefunden Leuchten
(die Leier, die alte: „nichts als das“),
im simmernden Geäst des Hollers,
in einem Sepsisfrühling, wollte ich es gleichtun
dem Holler, der strickt das Lauschen, Lecken
die Larynxfeuchte mit dem
Amaryllisleuchten am Fenster
zu einem Frühling, der nicht vergeht,
der weht
Mädchenblut
von Eichblättern
darunter fliesst verdoppelt die Lafnitz,
(einmal hin und einmal zurück,
einmal auf und nieder ins
Nussige, Angstnasse, ins Nierengebüsch),
dahinter die Strem, die siebenfache, einwärts strahlende,
striemende, am Autobahnzubringer
Vorfrühlings Hautnähe eines gelben
Vögelchens, bevor es zerbricht,
am Bildrand ein
oder zwei verwischte Mädchen, die
kichernd zu mir hinüberrufen:
„Un tropocai bell,
unne sonderraie sonderzugk
ab Aspen frippberg,
Felsöör erba nache Winne, nache
Aspang, Bahnhofe unse Wallachei!“
Keine ist wiedergekommen
(oder eine?)
(kenne) die eine
Hundsrose am Haselgraben,
dr silppricke
dorrn im Schuhh…
Ruft der Dorn:
„Der Hufschmied
und die Senfblüte:
ein und dieselbe
Person, Perron…!“
Rufen die Mädchen:
„o drom baro sin i tsar bardjolahi
o dombo hi zeleno!“
„Regen fällt, das Gras ist gewachsen;
der Berg ist grün!“*
Leerstelle 2:
„Auf dem Gelände der 1943 zerstörten Romasiedlung
von Buchschachen“
***
Mein „Riesenleben“,
lass dir sagen,
eines haarigen Zwerglings,
das dem euren ganz gleicht
(aber es gelingt nie
zu gleichen, im mindesten
gasgleich zu sein, beglichen),
mein „Rieselleben“
(eines unfruchtbaren Setzlings)
verrieselt,
- in den Flussschlingen Sternlings Mosaiken
- jettschwarzen Staubecken der Strem, die
- arretiert, sorgsam, ob tupfend, ob Lehm
- schöpfend aus, lauter, Pfützen, nach
- Mütterchen Mäuschens Ungarland fliesst
- und nicht mehr zurückkehrt
- so sehr ich auch rufe:
- „Mäusele Mäusele
- wo min Häusele,
- „nan man blajbens andre mo satno khere
- traurigi cerheni ando uco nebo,
- ich habe keine Bleibe in meinem eigenen Haus
ein trauriger Stern am hohen Himmel“,*
asch, asch, min Mäuselinchen!“
Es ist Menschenwind, fleischfarbener,
der aus dem Dickicht kroch
bei den Flussschlingen, gelben, gingen,
der Lafnitz, den Mädchenwiesen,
und einen Gendarmen machte,
des Kaisers?
der tropfenden Republik?
des eine-blutige-Kindshand-Führers?
der euch abholte,
so seid ihr
ein oder zwei verwischte Mädchen
an der Grenze zum Mutter-Reich
der Schneegöttin Lucia,
(es beginnt am Dornhag:
die Schneeseele selbst),
mit dem einen Fuss in Gedächtnis
(gleichsam schon-nicht-mehr-seiend),
mit dem anderen in Erwartung
des Kommenden (aber gasförmig,
als Pulver über Schloten)
steckengeblieben,
und zerrissen in einerlei
Nichts und Wiedernichts,
(diese heiligen zwei)
und Schneestweisse
Anmerkung: Die heilige Lucia ist seit dem Mittelalter, seit der Spätantike, vermute ich, die Schutzpatronin von Markt Allhau.
* Aus einem Roma-Volkslied der Zwischenkriegszeit
* Aus dem Lied „Traurigi Cerheni“, „Ein trauriger Stern“ der Roma-Dichterin Paula Nardai
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