KUNSTRADIO


"Wald - ein deutsches Requiem"


ein Hörstück von Gerhard Rühm
Eine Produktion des WDR 1983
Dauer: 32 Minuten


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Einführung von Gerhard Rühm:

"Der Text des Hörspiels 'Wald - ein deutsches Requiem', das das katastrophale Waldsterben zum Inhalt hat, basiert ausschließlich auf dokumentarischem Material auf den Ergebnis nüchterner Untersuchungen. Nackte Tatsachen, durch keinerlei Erzählfloskeln verbrämt haben die stärkste, weil direkteste Wirkung. Auf die künstlerische Möglichkeit einer emotionalisierung des dargebotenen Materials habe ich keineswegs verzichtet - schon um es zu akzentuieren, auffällig zu machen, aus der Nachrichten-Sphäre herauszuheben. Das geschieht einerseits durch die Erstellung eines akustischen Kontextes, der von assoziationsträchtigen musikalischen Zitaten bis zu entsprechenden Geräuschbildern reicht, andererseits durch die Art der Präsentation des Textmaterials selbst. So werden etwa drei bedeutsame Textabschnitte melodramatisch mit einer den Text akzentuierenden und aufrührerischen Musik vorgetragen. Diese Musik hat allerdings eine enge strukturelle Beziehung zum Text, da sie buchstäblich seine musikalische Transformation darstellt. Den einzelnen Lauten des Textes sind bestimmte Töne auf dem Klavier bzw. dem Violoncello zugeordnet. So faßt das Hörspiel wie von selbst auf konzentrierte Weise verschiedene akustische wie radiophone Ausdrucksformen wie Feature, Hörbild, O-Ton, Meinungsumfrage, Magazin, Nachrichten, Melodram zu einer montagehaften Einheit zusammen. Im ganzen gesehen, kam es mir auf eine klare, lapidar gesehene Überschaubarkeit an mit einer gewissermaßen plakativen Wirkung. Dieses Hörspiel soll vor allem eine durch künstlerische Mittel eindringliche Mitteilung sein, das den Hörer, ohne Kommentar, ohne Polemik und ohne persönliches Credo belastet, zu einer eigenen Stellungnahme provozieren will."

Gerhard Rühm hat mit seinen radiophonen Texten und Hörspielen, die an die Traditionen der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts anschließen, die Geschichte des Neuen Hörspiels und der Radiokunst mitbegründet.


"Das Neue Hörspiel, mit dem eigentlich die radiophone Kunst, die bewußt- wie medienspezifischen Mittel des modernen Tonstudios in die Konzeption ihrer Produkte miteinbezieht, begonnen hat, wurde von gewissen Kritikern, wie stets alles Neue und Konsequente, immer wieder als ästhetische Spielerei verharmlost, wenn nicht gar abgetan und totgesagt. Der Neuen Musik ist es anfangs nicht anders gegangen."

"Wahrscheinlich entnehmen Sie meinen Worten schon, daß für mich das Hörspiel mehr ist, als ein betuhliches Mono- oder Dialogisieren mit ein paar illustrativen Geräuschchen, mehr als ein pseudo-realistisches Theater hinter geschlossenem Vorhang. Das Neue Hörspiel ist kein inszeniertes Manuskript, sondern programmatisch verallgemeinert, ein autonomes Hörereignis aus allem was hörbar ist, was hörbar gemacht werden kann - was natürlich die Konzentration auf nur ein akustisches Ausdrucksmittel nicht ausschließt. Ein Hörereignis, das eigentlich erst im Tonstudio seine Gestalt gewinnt. Die künstlerische Qualität eines Hörspiels entscheidet demnach seine akustische Erscheinungsform, die Machart, das Artifizielle daran - zumindest nicht weniger als das Thema oder die gern gehörte menschliche Botschaft. Denn zu einer künstlerischen wird eine Botschaft erst durch den Einsatz künstlerischer Mittel und durch ihre künstlerische Vermittlung und das unterscheidet das Hörspiel von einem Feature. Eine Madonna mit einem Kind ist nicht wegen des Sujets schon ein gutes Bild, sondern dann, wenn das Bild gut gemalt ist, sogar dann noch, wenn Mutter und Kind kaum noch zu erkennen sind".

"'Wald - ein deutsches Requiem' hat Inhalt genug und es hat einen klaren, strengen Aufbau. Es kreist zwar um ein Thema, es hat aber keine Handlung. Handlung, so möchte ich überspitzt behaupten, lenkt vom Kern des Themas, den nüchternen Fakten ebenso ab, wie von der künstlerischen Qualität ihrer Verarbeitung. Eine aufgesetzte Handlung verbrämt das Thema mit unwesentliche Details.

'Erzählkunst ist Opium für das Volk' hat Schuschagg, ein Propagandist der russischen Tatsachenliteratur der 20er Jahre radikal formuliert. So lenkt auch naivere Betrachter eines Madonnenbildes - etwa von Rafael - die Figur vom Gemälde eher ab. La pour la ist eine Fiktion; es gibt nicht mehr oder wenig Wirkliches, es bedarf der interpretierenden Wahrnehmung um uns bewußt zu werden.

Eine wesentliche Aufgabe der Kunst besteht in der Sensibilisierung unserer Wahrnehmungsfähigkeit in der Differenzierung unserer Ausdrucksmittel; und das sind unabdingbare Prämissen für die Intensivierung menschlicher Kommunikation. Damit allein hat Kunst schon soziale Relevanz genug und das umso mehr, je anspruchsvoller sie ist. Kunst hat geradezu die Verpflichtung, umbequem zu sein. Jedenfalls wenn Sie mehr als ein entbehrlicher Luxusartikel sein will.

Der meditative Aspekt von Kunst erfüllt gerade in unserer hektischen lärmerfüllten Industriegesellschaft eine geradezu humanitäre Überlebensfunktion. Die Menschen können heute Ruhe, die Stille ist nicht mehr ertragen. Auch die musikalische Umweltverschmutzung, wie wir Sie schon in jedem Laden erdulden müssen ist ein ernstes Problem. Lärm als Droge - die verzweifeltste Art dieses Problem zu bewältigen. Die Folge ist totale Abstumpfung. Wir brauchen zum Überleben die akustische Kunst der Stille, der Selbstbesinnung, der Differenzierung. Das ist ein Aspekt der Kunst.

Andererseits kann der Künstler von den überwältigenden Problemen unserer Zeit nicht unberührt bleiben. Wenn ich mich immer häufiger unerfreulichen und brisanten Themen zuwende, dann nicht, um, wie einzelne Kritiker unterstellten, das angeblich unter Ermüdungserscheinungen leidende Neue Hörspiel durch aktuelle Themen aufzufrischen, sondern weil uns diese Probleme mittlerweile direkt betreffen, mich hautnah berühren, daß ich ihnen auch in meiner künstlerischen Arbeit Ausdruck geben muß: Rüstungsirrsinn, wachsende Kriminalität, die tägliche Brutalität der Straße, die Städte erstickende Autoschwemme, 'wissenschaftliche' Tierfolter, die Umweltvernichtung gigantischen Ausmaßes."

Ausschnitt aus Gerhard Rühms Dankesrede für den Hörspielpreis der Kriegsblinden 1984 für das Stück "Wald - ein deutsches Requiem"


1990 CALENDAR 1