You talk to me as if from the distance
and I reply with impressions
chosen from another time
  (Brian Eno - By This River)

Wellen. Zyklische Bewegungen von Materie. Können wir uns eine zeitlose Welle vorstellen? Oder eine Welle mit null Wellenlänge? Bedeutet dies, dass Wellen die Existenz dessen unter Beweis stellen, was wir "Zeit" und "Raum" nennen? Manche Wellen sind sichtbar. Andere wiederum können wir hören oder auf unserer Haut spüren. Beweist dies unsere Existenz? Wir bewegen unsere Stimmbänder und Finger und Beine erzeugen dadurch Wellen. Beweist das unsere Existenz? Wem? Ist es überhaupt notwendig, eine Existenz nachzuweisen? Wem? Und ist das überhaupt möglich? Jemand wählt meine Telefonnummer und Klangwellen sagen: "Hi, Aleksandar speaking!". Das ist mein Anrufbeantworter, der den Klang meiner Stimme wiedergibt. Ich hab' das vor einiger Zeit aufgenommen. Wie lange ist das her? Eine Minute? Ein Monat? Ein Jahr? Hört dieser Mensch meine Stimme? Oder handelt es sich nicht einfach die magnetische Oberfläche einer Kassette, die durch meinen Stimmausdruck moduliert wird? Wieso glaubt man, es sei meine Stimme? Wo ist meine Stimme? Auf der Kassette? Oder in der Telefonleitung? Ist sie im Äther? Existiert der auf der Kassette aufgenommene Ton auch noch, wenn die Kassette nicht läuft? Wenn ich in der Zwischenzeit stumm werden, meine Stimme verlieren würde, wäre es immer noch meine Stimme? Haben Stimmen Namen? Haben Klänge Namen? Können wir uns einen noch nie erfahrenen Klang vorstellen? Einen Klang, den wir noch nicht benennen können? Gibt es einen Klang ohne Namen? Können wir Klänge erfinden, bloß imaginieren? Ist eine Welle, die den Äther 2200 Mal pro Sekunde stört, ein Klang ohne Trommelfell, um diesen wahrzunehmen? Ist Klang einfach ein anderer Name für die Wahrnehmung einer bestimmten Frequenz mittels eines bestimmten Sinnes(organs)? Warum sind wir von Klängen so besessen? Nur weil es so viele davon gibt? Wieviele Klänge höre ich, wenn ich einem Stereo-Soundsystem zuhöre? Zwei? Wären es mehr, wenn ich auf ein 5.1 Surround-Soundsystem umstiege? Brauche ich einen zentralen Kanal, wenn ich nicht einen Film anschaue? Wenn es keinen Bildschirm gibt, den ich fokussieren soll? Dies ist die erste Frage, auf die ich eine Antwort habe: Nein, ich brauche ihn nicht.

Ich sitze am Mischpult im Sky Media Loft im obersten Stockwerk des Ars Electronica Centers in Linz. Ich habe zwei CDs und eine MiniDisc mit insgesamt ca. 25 Minuten Tonmaterial. Ich habe dieses in den letzten Tagen in Linz aufgenommen. Sämtliche Tracks sind benannt, so dass ich das Material zum Abspielen wieder erkenne. Ich fühle mich bescheuert, die Tracknamen, die mich an die Situationen erinnern sollen, in denen die 1en und 0en aufgenommen wurden, rauf- und runterzuscrollen.

Miroslav und Robert sind in Belgrad, vermutlich scrollen auch sie durch ihren Klangfundus. Als wir über eine Performance nachdachten, hatten wir die Idee, einen Loop-Mix zwischen Linz und Belgrad zu machen. Diese beiden Städte haben einen Fluss gemein (die Donau) und wir fanden es bequem und passend, diesen Tatbestand heranzuziehen, um den Aspekt der "Welle" in der Performance zu unterstreichen. Luft, Wasser, das Radio – sie alle erzeugen / bestehen aus Wellen. Ich schicke voraufgenommene Klänge den Internet-Stream nach Belgrad "runter" und sie mischen diese mit den Klängen, die sie in den vergangenen 10 Tagen in Belgrad gemacht haben, bearbeiten diese und senden den Mix den Stream wieder "rauf" nach Linz, wo ich wiederum das Ganze nehme und neuerlich mit meinem Material mische usw. … Kunstradio nimmt den Linz-Mix und sendet diesen on air und on line, via Satelliten und sogar in 5.1 Surround Sound. Miroslav und Robert verwenden DSP Effekte, um ihren Teil des Mixes zu bearbeiten; ich verwende lediglich die Fader auf dem Mischpult und EQs, und es gibt 30 Sekunden Verzögerung in jede Richtung, folglich kann keiner von uns den Mix der anderen unmittelbar in Echtzeit beeinflussen, interferieren. Jede Regeneration des Signals soll den Performern auf beiden Seiten eine Überraschung bieten und uns dadurch bewusst machen, dass die Improvisation darauf beruht, die Zeitlich- / Vergänglichkeit eines anderen Knotenpunkts zu nutzen.

Hier ist es also: Ich sende ihnen meine vorab aufgenommenen Klänge. Diese haben für mich eine Bedeutung – sie erinnern mich an Dinge. Für Miroslav und Robert sind sie lediglich Klangwellen, die bearbeitet und retour geschickt werden sollen. Die Sounds, die ich vor wenigen Tagen in der Strassenbahn aufgenommen habe, werden nach einer Minute an mich retourniert als ausgefranster, heftig gurgelnder Lärm. Was ist diese Klangwelle? Trägt sie immer noch Grundzüge des Klanges, den ich stromabwärts geschickt habe? Nach einer Weile scheint mir dies egal zu sein. Ich entscheide mich, diese Begriffe außer Acht zu lassen und einfach die Wellen zu mischen. Das einzige Kriterium, das bleibt, ist: "Gefällt mir diese Klangwelle oder nicht?" Aber ich mag sie alle. Ich könnte unendlich lange so weitermachen, doch meine Zeit ist angesichts des Sendeplans begrenzt. Vierzig Minuten. Das genügt. Ich kann wieder auf die Strasse gehen und Klangwellen hören, die nicht mal gemischt werden müssen – meine Ohren werden das für mich erledigen. Dank der Gehirnwellen.

Aleksandar Vasiljevic

P.S. Das Brian Eno-Zitat sollte nicht Motto dieses Textes werden. Ich hörte einfach die Before and after Science CD gleich nachdem ich mit dem Schreiben fertig war – und der Song schien wie eine spontane (?) akustische Illustration als ich den Text nochmal korrektur las.

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