[ATTACKEN]

OLIVER MARCHART




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Tactical Media



Amsterdam und Rotterdam - 19., 20., 21. Januar 1996




Interview mit Pit Schultz (1)
Interview mit Pit Schultz (2)

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Katja Diefenbach im Gespräch mit Radio Turn The Tape Zagreb
Katja Diefenbach im Gespräch mit Radio Patapoe, Amsterdam
Katja Diefenbach und Oliver Marchart über N5M '96 (FM4-Gespräch mit Thomas Edlinger)




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Die grösste Verkaufsparty in taktischer Tupper-ware ging nun zum zweiten mal in Amsterdam und Rotterdam über die Bühne. Nicht dass solche Inszenierungen subversiver Medienaktivitäten prinzipiell abzulehnen wären. Erstens hielten sich die Organisatoren zurück und liessen die Veranstaltung nicht völlig zur Messe verkommen, wie das etwa bei der letzten Interface oder der letzten Ars der Fall war. Die Atmosphäre war wesentlich gelockerter und somit produktiver. Ausserdem schien sich ein Paradigmen-Wechsel anzubahnen weg von der daten-dandyesken Selbstinszenierung hin zu einem stärkeren criticism - und damit zu einer ernüchterten Einschätzung der Medienlage. Andererseits bedrohen solche Gatherings von Leuten, die sich alle schon ewig kennen und schätzen und gegenseitig einladen, immer die Gefahren des Privatisierens, des preaching to the converted und der amikalen Subgruppen-Versumpfung. Aber man frage mich nicht, wie sich das vermeiden liesse.

Panels und workshops wurden abgehalten zu Themen und Titeln wie: access for all, copyright, curator activists, radio and civil conflicts, South Africa und latino tactical media, low end technology, financing media, tactical research, sex in the age of the media, biotech, u.v.a.m.

Zu den Guest Stars zählten neben den üblichen Kongress-Touristen diesmal glücklicherweise auch Graham Harwood und Matthew Fuller, die die Reise allein schon wert waren. Matthew Fuller beschrieb die Strategie seines und Graham Harwoods inzwischen legendären Fanzines "Underground" in klassisch neostischen Worten. Ernsthafte Forderungen würden sowieso nichts nutzen, er sei interessiert in "taking politics from behind". Politik als abject machine solle Dinge produzieren wie "the absurd, stupid and fucked up". Diese politics of ridicule (die bereits von Stewart Home, mit dem sie zusammenarbeiten, mit seiner retro-avantgardistischen Strategie der ridiculous demands in den 80ern vorgegeben war) wurde gleichzeitig seltsam konterkariert durch die CD-ROM "Rehearsal of memory", die die beiden präsentierten. Sie zeigt in übergenau gescannten Bildern die "physischen" Erinnerungen von Patienten des "Ashworth Mental Hospital". Von Teilen ihrer Körper über private Utensilien bis zur Unterhose. Die Schärfe der Bilder - also was Baudrillard Obszönität nennen würde - macht einen zum molekularen Voyeur, was nichts mehr mit Spasspolitik zu tun hat, sondern eher was mit Widerwillen und Ekel.

Bleiben wir beim Widerwillen, bzw. der Kritik an der Kritik. Das Net Criticism Panel offenbarte fast schon unüberwindliche Differenzen, selbst unter potentiell Gelichgesinnten. Konrad Beckers Kritik des Kritizismus konnte dem Netz als "the most gigantic mind-fuck system" durchaus etwas abgewinnen und ortete am Kritizismus der anderen Teilnehmer/innen die Staubschicht einer veralteten marxistischen Terminologie. Katja Diefenbach lieferte die Gegenbehauptung, dass Kritik auch happy sein könne, und es kein notwendiges determinatives Verhältnis zwischen Staub und Marxismus gäbe. Allerdings vermittelte das Kritik-panel nicht den Eindruck, als würde gleich eine Party losbrechen. Dass Kritik nicht langweilig sein muss, heisst eben keineswegs im Umkehrschluss, dass sie lustig wäre. Auch Paul Garin wandte sich gegen overcriticism und schlug in amerikanischer Trecker-Manier vor, sich zusammenzutun und seine eigene Bandbreite zu kaufen. Auf die Frage wie das im Kleinen ginge, lieferte er den revolutionären Vorschlag, die Telefonrechnung zu bezahlen, denn das sei ja auch eine Art "Kaufen" von Netzanteilen.

Steven Kurtz und Peter Lamborn Wilson, die offenbar das Geheimnis der Bilokation gelüftet haben, weil sie einfach immer überall sind (hat ihnen wahrscheinlich Peter Weibel verraten), spezifizierten dann ihre bereits in anderen panels vorgetragenen Positionen. Wilson machte klar, dass in seinem Konzept die TAZ nicht als anarchistischer Club Med gedacht war. Damit verteidigte er das Konzept in seiner politischen Bedeutung - meiner Ansicht nach zu Recht - gegen lifestylige Interpretationen. Eine TAZ ist kein Ort der Flucht oder des Ausruhens, sondern muss immer wieder neu erzeugt werden. Steven Kurtz machte klar - meiner Ansicht nach ebenfalls zurecht -, dass wir immer noch keine seriöse Kritik des Netzes entwickelt haben. Es gäbe einen Krieg zwischen den verschiedenen Repräsentationen von Technologie, wobei die Repräsentation im Sinne der "kalifornischen Ideologie" (WIRED, Barlow, etc.) offensichtlich hegemonial ist. Es gäbe ausserdem zwei Möglichkeiten, ein System zu kontrollieren: entweder man macht es "very tight", oder man öffnet es komplett. Eine etwas konkretere Sicht der Dinge würde wohl zeigen, dass beide Bewegungen auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig laufen. Kommerzielle Öffnung bei gleichzeitig überwachender Ausleuchtung.

Zusammenfassend fanden sich unter den diversen Medien-Kritik- und Kritik-der-Kritik-Positionen u.a. folgende:

Die community-media-Position, vertreten von DeeDee Halleck von Paper Tiger-TV und Deep Dish TV, sowie südamerikanischen community-TV-Aktivisten. Dabei geht es hauptsächlich um die Stärkung sozialer Zusammenhänge und die mediale Selbstermächtigung von Nicht-Privilegierten (im ökonomischen oder im politischen Sinn).

Die "Berlin-Münchner" Position, vertreten von Jochen Becker, Stephan Geene, Katja Diefenbach und - abweichend - Pit Schultz. Jochen Becker z.B. lieferte eine fundierte Materialschlacht zum Verhältnis neuer Medien und Grosskommerz. Von hier aus wurde die Kritik an der N5M wohl am stärksten artikuliert.

Die österreichische Position war wie immer daran zu erkennen, dass es sie nicht gab. Und doch war die Österreicher-Kolonie relational eine der grössten (wenn man überhaupt in "Landsmannschaften" denken will). U.a. nahmen teil Eva Wohlgemuth, Margarete Jahrmann, Konrad Becker, Martin Ebner, Kathy Rae Huffman (wenn ich sie mal einösterreichern darf) und ein Typ von der Stadtwerkstatt, der hauptsächlich Österreichs Ruf als Biernation verteidigte. Erstaunlich war für Beobachter aus der österreichischen Mediendiaspora die Kapazität, mit der eine ständige live-coverage der N5M durch die vereinten unabhängigen Kabelstationen Amsterdams und die United Free-Radio Stations of Amsterdam (Radio 100, Radio Patapoe und Radio de Vrije Keyser) durchgezogen wurde. Alle paar Minuten lief man in eine offene Kamera. Was andererseits wohl überhaupt nicht funktioniert hat, war die Kommunikation zwischen Euro- und Trikont-Aktivisten, die prinzipiell auf getrennte Panels gesetzt wurden. Bei den nächsten 5 Minuten - sollte es dazu kommen - wird sich da wohl was ändern müssen.


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